Dr. Peter Böthig: "Wo das magische Auge schmal wird", Museum Rheinsberg (German), 2004
Wo das magische Auge schmal wird
Die grafische Kunst Franz Schwarzingers ist geprägt von tiefer Zerrissenheit. Auf der einen Seite ist da eine starke Reduktion. Extrem verschrumpfte Figuren in vehement expressiver Geste - die Gestalten treiben gleichsam zur Explosion. Noch ist alles wie gestockter Anlauf, Fehlstart auf der Aschenbahn des Lebens, Stau der Gefühle. Zugleich drängt sich in den Figuren, in ihren verkapselten Körpern, die Sehnsucht nach Start, nach freiem, gleitendem Flug, nach Ganzheit und direktem Bezug aufeinander. Doch die Umarmungen wollen nicht ganz gelingen, es sind eher Verschlingungen, einsamer Kampf und Spiele der Unterwerfung. Die Figuren blicken stumm, mit geschlossenen Mündern, direkt aus dem Bild heraus, auf den Betrachter, Augen-Klage, stummer Schrei. Auch wenn es Tier- und Pflanzenkörper sind, die Schwarzinger malt, zersplitterte Wesen wie Luftgeister, sind sie seltsam verkürzt und verschoben.
Viel Energie sammelt sich in den Augen, den Zentren der Körperfragmente. Sie treiben in den Körpern wie Restzustände auf Orientierungssuche, oder aus den Körpern hinaus, und lassen sie, noch in den zweisamen Verknotungen - einsam zurück, Andererseits herrscht so etwas wie Melancholie, selbst leuchtende blaue und rote Farben sind nicht fröhlich. Oft sind sie auch elegisch gedämpft bzw. gekontert: Ocker, stumpfes Grün, Braun - „schwierige“, intensive Farben, die keine erlösenden Versprechungen bereithalten.
Alle Aktion bleibt der Zukunft überlassen, Was wir sehen, sind Momente eines Countdown, der Vorbereitung auf etwas, das folgen wird, von dem aber niemand genau weiß, was es sein wird. Es mag eine genuin österreichische Zerrissenheit sein.
Ein spezifischer Widerspruch durchzieht auch die von Franz Schwarzinger in der Berliner Droysen-Keramikgalerie Kattrin Kühn geschaffenen keramischen Arbeiten. Es ist der Widerspruch zwischen der Skepsis gegenüber der Ganzheit der Körper und der Arbeit auf dem vorgefertigten Gefäß, das sich immer als Ganzheit präsentiert. Beim Bild und bei der Grafik können wir den Rahmen, das Geviert, als künstliche, willkürliche Setzung akzeptieren, es verschwindet sozusagen hinter der kulturellen Vereinbarung, daß das Bild ja irgendwo aufhören muß. Daher läßt sich die Bewegung und Zerstörung „innen“, im Bildinhalt als autonom setzen. Nicht so beim Gefäß, bei Schale und Krug. Hier ist die äußere Form mehr als nur Rahmen, sie ist Gestalt. Indem Schwarzinger seine Bildentwürfe auf die gebogenen Flächen keramischer Gefäße überträgt, stürzen sie in eine für den Künstler neue Herausforderung. Sie geraten in den Widerspruch zwischen innerer Disparatheit und vom Gefäß vorgegebener Harmonie. Wie sich dieser Widerspruch zunehmend produktiv auflöst, zeigen seine Arbeiten.
Als Kinder haben wir oft an der Radioskala gedreht. Ganz außen, am Rand, fast schon außerhalb der Skala, gab es seltsame Geräusche, die das Radio kaputtzumachen drohten. Aber diese Geräusche - das war die ganze vertraute Fremdheit des Radios. Ungefähr dort empfinde ich auch Schwarzingers Figuren - ganz am Rand, wo der Schrecken sich zu erkennen gibt als das Wesentliche, als Erklärung - ohne etwas erklären zu können. Wo das magische Auge ganz schmal wird, liegen Schwarzingers Bildwelten.
Dr. Peter Böthig, Museum Rheinsberg, Direktor