Roman Strauss: "Das Auge - Der Blick" (nach Jean-Paul Sartre und Martin Buber), 2003
Mich berühren und faszinieren die Bilder von Franz Schwarzinger von einem sehr persönlichen und gleichzeitig sehr spezifischen „Blick“-Winkel - dem Blick der Augen in seinen Bildern.
Haben Sie auch einmal die Phase durchlebt, in der Sie sich fragten: „wer bin ich“, „was bin ich“, „was macht mein ICH aus“
Beide Philosophen haben mich gelehrt, von dem was wir landläufig ICH nennen und mit Eigenschaften belegen, Abschied zu nehmen und es als zufällige, spontane, aber in einem Ursache-Wirkungsverhältnis stehende, temporäre Erscheinung ohne Anspruch auf Dauerhaftigkeit und Gültigkeit hinzunehmen.
Nach Jean-Paul Sartre:
Das was ich/Sie ICH nennen, kann so viele Eigenschaften und Merkmale haben, wie es Menschen gibt, die mich anschauen, erblicken können - und dem bin ich/sind Sie eigentlich völlig ausgeliefert.
Durch den Blick, den der ANDERE auf mich richtet (was ich wiederum sehe) erfahre ich ihn/sie als Subjekt, nicht mehr als Objekt (solange er/sie meinen Blick nicht erwidert), gleichzeitig bekomme ich das Gefühl, Objekt des /der anderen zu werden - ich selbst erlebe mich als Subjekt, merke aber, dass ich Objekt für andere sein kann - die Welt erhält einen Sinn, der nicht der meine ist, weil ich nur eines von vielen Objekten bin in der Welt des anderen, der seiner Welt seinen Sinn gibt, den ich ad hoc nicht oder überhaupt nicht kennen kann.
Experiment mit den Gästen:
Schliessen Sie die Augen.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem dieser viel zu kleinenkleinen Tische eines Eissalons. Es ist heiß. Sie haben sich Ihr Lieblings-Eis-Bouquet bestellt. Ein paar Tische weiter entdecken sie (Frauen: zwei Männer / Männer: zwei Frauen) - wirklich gutaussehend. Die beiden unterhalten sich beiläufig, während sie ihr Eis essen. Eine der beiden Personen ist ganz ihr Typ. Sie mustern die Person: schöne Gesichtszüge, interessante Gesichtzüge, gepflegte Hände, eine gute Figur.........plötzlich dreht die gemusterte Person den Kopf und schaut Ihnen geradeaus in die Augen.........in diesem Moment entsteht das, was man das ICH nennt - im Blickkontakt - es ist der der Augen.
Beispiel bei Jean-Paul Sartre (JPS):
Aus Eifersucht, Neugier oder lasterhaften Gründen ist es soweit gekommen, dass ich mein Ohr an eine Tür lege oder durch ein Schlüsselloch spähe. Ich bin allein. Ich bin ganz bei der Sache. Ich bin ganz konzentriert bei dem was ich hören oder erspähen will. Ich klebe geradezu an dem Gegebenen. Ich verliere mich ganz und gar.
Jetzt höre ich Schritte - man sieht mich. Durch das Erblickt werden durch einen Anderen, entsteht wider dieses ICH. Die Existenz eines Anderen gibt mir einen Sinn (etwas worüber ich reflektieren kann) und eine Eigenschaft (die mir vorher nicht bewusst war).
Nach Martin Buber (MB):
Auch nach MB gibt es kein ICH, das losgelöst von allem existieren könnte - es entsteht in der Kombination mit Erfahrungen und Beziehungen/Begegnungen.
Nach MB gibt es zwei Grundkategorien von Beziehungen:
ICH-DU
ICH-ES
In der Beziehung ICH-ES geht es um die Position und das Gewahrwerden der gegenständlichen mich umgebenden Welt, die mich von der Welt als ge-sondert erleben lässt. Hier ist das ICH noch (fast) inhaltsleer, ist quasi eine Negativ-Definition.
In der Beziehung ICH-DU nehme ich wahr, dass ich wahrgenommen werde von jemanden, der ebenfalls ICH sagt. „ICH“ bekommt einen einmaligen und gleichzeitig vielfach wiederholbaren Charakter - eigentlich ein Paradoxon. Indem der andere DU sagt, verweist er auf mich als ICH: es entsteht eine Verknüpfung die zur gegenseitigen Abhängigkeit führt. Mein ICH/sein ICH, inhaltlich und existentiell hängt davon ab, dass jemand DU sagt. Das bedarf aber der Begegnung und des Blickes.
Der Mensch wird am DU zum ICH.
Manche Augen bei Franz Schwarzinger schauen einen geradeaus an, andere an einem vorbei.
Dieser (potentiell) konstituierende Faktor in den Bildern fasziniert mich.
Roman Strauss, Wien, Juni 2003