Prof. Dr. Manfred Wagner: "Schwarzinger - Menschenbilder o.T.", 1987
Menschenbilder o.T.
Franz Schwarzingers Arbeiten sind Menschenbilder. Gleichgültig, in welcher Technik, in welchem Format: der Erzählgegenstand ist immer der gleiche - der Mensch, vornehmlich als Kopf und mit Versatzstücken des Restkörpers kombiniert, ist Mittelpunkt des Bildinhaltes. Deswegen kommt Schwarzinger meistens ohne Titel aus und wenn er welche erfindet, sind sie lapidar, ja antikonkret.
Antikonkret wie seine Menschenbilder. Da ist niemand bestimmter gemeint, selbst die Ähnlichkeiten mit ihm selbst sind sporadischer ausgeprägt als bei vielen anderen Künstlern, die - gewollt oder ungewollt - ihre Persönlichkeitsmerkmale in die Gesichtsdarstellungen integrieren. Schwarzinger hat nie etwas anderes gemalt als Menschen, und wenn man von einer Entwicklung sprechen könnte, dann läuft sie bei ihm in Richtung Sicherheit, Positionierung, Beantwortung einmal aufgestellter Fragestellungen, Der Kopf oder das Glied, ja manchmal sogar der ganze Körper ist inzwischen zu einer Art Raumfaktor geworden, das heißt, daß die freibleibende Fläche und der ausgefüllte Gegenstand in starke Abhängigkeiten geraten sind. Schwarzinger hat diese Sichtweise lange vorbereitet, den Hintergrund gerastert und ornamentiert, sich Ordnungskategorien vice versa seinen Menschenteilen geschaffen, um Gleichgewicht der Flächigkeiten zweierlei Zuschnitts gerungen: jener des anzeigenden Körperlichen und jener der abstrakten Gestalt. Nun stimmen die Verteilungen haargenau - sie strahlen völlige Sicherheit und Definition der Raumverteilung aus, lassen keine Fragestellungen, auch keine Änderungsvorstellungen mehr zu.
Es scheint, als würde ein neuer Reiz von dieser Sicherheit ausgehen, die den Künstler dazu bringt, sich doch noch in Frage zu stellen mit Verschiedenheiten der Raumteilung, mit gerissenen Mustern oder geschönten Schwingungen, ja sogar mit Formaten, die aus der Konvention des Vierecks ausbrechen. Aber. die Sicherheit bleibt, und deswegen neigen selbst die gesuchten Alternativen zu einem Moment klassischer Erinnerung. Für die Kopfform hat Schwarzinger die Formel gefunden: eine Kreuzung aus Dreieck und Ei, nunmehr fast zum Klischee ausformuliert und wahrscheinlich deswegen oft als Maske ausgedeutet. Die Darstellung der Leiber, vormals ein von ihm in vielen Arbeiten auf Biegen und Brechen im wörtlichen Sinn hingetrimmtes Ausdrucksmaterial, sind bis auf wenige Ausnahmen in ihrer Gesamtheit geschwunden. Was übrig bleibt sind Identitäten, Knochengestalt als einfachstes Konstitutivum des Skeletts und der gesamten Körperkontur. Oder die Mehrflächigkeit der Hand, ohnehin auffallend oft als Thema angerissen, wird auf den Korpus übertragen, was in der Überschau wie das andere Thema oder die Analogie von weiblichem zu männlichem Thema wird, ohne das Geschlecht konkret mit einzubeziehen.
Auch hier hat Schwarzinger weitergearbeitet. Die vormals extensivere Thematik des Sexus, relativ ausgewogen auf Mann und Weib konzentriert, ist seltener geworden und hat noch mehr Reduktion erfahren. Brustwarzen statt Brüste, gestrichelt Verdichtetes statt Schamlippen und ein bis zum Nichts reduzierter Penis, der allerdings sich dann wieder auch als Körperersatz oder Körperanalogie massiv einschleichen kann, kennzeichnen die neue Haltung.
Die Zeichnungen, oft mit Kohle und Tusche, weisen starker als die Bilder in die Vergangenheit. Da sind auch noch jene Verletzungen spürbar, denen der Mensch Schwarzingers sich ausgesetzt sah, da ist noch die Kraft der Kolossalität, die auf Zusammen stoß drangt, da sind noch jene teils unheimlichen, skurrilen Anders-Geschöpfe, Kreuzungen von Tieren und Traumsymbolen, also Reste einer ehemals kreatürlichen Welt. Merkwürdig ist aber auch, daß selbst in diesen Konfliktpotentialen keine Geschichten vermittelt werden, keine Möglichkeiten von Vorstellungen, die ein Vorher oder ein Nachher zulassen und die Zeichnung quasi als Momentaufnahme entschuldigt. Schwarzingers Bildausdruck wirkt gegossen oder gefroren, unveränderbar in seinem Zustand, damit unbeugsam in Richtung Vergangenheit und Zukunft. Wahrscheinlich ist diese Starre mit eben jener Sicherheit zu korrelieren, die seine Bildsetzungen ausmacht. Radikal formuliert: die Gewichtung der Gegenstände innerhalb der planen Fläche saugt mehr an Kraft und Anziehung auf als die Symbolwirkung der Gegenstände selbst. Auf diese Positionierungen wird soviel Energie aufgewendet, daß trotz einer primär visuell geprägten Anschauungswelt die Inhalte des Dargestellten an sich verblassen zugunsten der Stellung eben dieses Dargestellten gegenüber dem planen Format.
Kennte man die Arbeiten und die Arbeitsweise Schwarzingers nicht, dann würde man vermutlich einen viel älteren und erfahreneren Künstler hinter seinem Namen vermuten. Es kann schon auch ein vorgezogenes Altern sein, das Schwarzingers Arbeit nunmehr unverwechselbar macht, es kann aber auch nur die selbstgewählte Themenstellung sein, die ihn zu diesem Zeitpunkt zu dieser Phase seiner Entwicklung getrieben hat. Ein Blick zurück wird in wenigen Jahren zeigen, ob seine Definitionsfähigkeit der Jahre 1986/87 das Endstadium des Schwarzingerschen Ansatzes vom Menschenbild war oder eine Durchgangsphase zu einer noch weiter getriebenen Reduktion. Sicher ist jedenfalls, daß Franz Schwarzinger beim Thema Menschenbild bleiben wird. Bei seinem.
Prof. Dr. Manfred Wagner, Universität für angewandte Kunst Wien
Vorwort des Katalogs „Schwarzinger 1986/1987“ Galerie Chobot