Dr. Helmuth Niederle: "Das Tier in dir", 1987
Das Tier in Dir
Unversehens steigt aus dem Menschen ein Tier: in Franz Schwarzingers Bildern geht es um den heiklen Unterschied zwischen Vernunft und Trieb.
Novalis fragte, ob denn in allen Menschen Menschen sein müßten. Was Peter Marginter zur launigen Frage veranlaßte: „Müssen denn alle Fische Fische sein? Es kann auch ganz andere Wesen als Fische in Fischgestalt geben.“ Für den 30jährigen Wiener Maler Franz Schwarzinger können Menschen auch Olme sein, die sich handlos aufeinander zubewegen. In seinem Menschenbild ist für die scharfe Trennung zwischen Tier und Mensch kein Platz.
Unversehens steigt aus dem Menschen ein Tier, das nur mit Mühe die animalische Wilde zähmt, weil es dem nächststehenden Menschen seine Hauer hineinjagen möchte. Ist der Mensch tatsächlich das höchstentwickelte Tier, ein „animal rationale“, oder ist er ein nach Eau de Cologne riechendes, unbehaartes Vieh, das sich einbildet, zwischen Vernunft und. Trieb wirklich unterscheiden zu können?
In der Galerie Chobot zeigt Franz Schwarzinger Arbeiten aus den Jahren 1986 und 1987. Über zweihundert Zeichnungen in einem Konvolut durchzublättern, verdeutlicht die Arbeitsweise des Künstlers: Seriell. Blatt folgt auf Blatt Das Thema wird durchvariiert, die einzelnen Bestandteile werden kopiert, was manches Element mit einer Stilisierung bis zur Erschöpfung ertragen muß.
Doch stets bleibt den Arbeiten eine bestimmte Ambivalenz eigen: Ironie und Verzweiflung, Trauer und Persiflage erscheinen als sich ergänzende Merkmale.
Unterstrichen wird dies dadurch, daß Schwarzinger sich nicht auf eine eindeutige Symbolik festlegen läßt. Seine Bilder illustrieren nicht; sie sind Momentaufnahmen von Befindlichkeiten,. geschaffen wie in einem Malrausch.
In einem Bild schwebt ein einzelner Kopf über der Landschaft. Trotz des traurigen Ausdrucks hat er die Leichtigkeit eines Luftballons. Auf anderen Bildern bedrohen Tiere, die irgendein Mittelding zwischen Phantasiehirschen und Traumgazellen darstellen, menschliche Figuren. Ihrem Körperbau nach sind sie eher fragil. besonders die Beine scheinen schwächlich. dafür tragen diese Tiere ein Gebiß im Maul, das alles, nur nichts Gutes verheißt.
Auf einem anderen Bild schweben zwei isolierte Köpfe über einem blauen Hintergrund. Zwischen ihnen ein roter Segelmast eines Schiffes; das genausogut ein Beil sein könnte. Von einer Verständigung dieser beiden Köpfe kann angesichts dieser Bedrohung keine Redesein.
Kopfstudien zeigen Umrisse von Schädeln, auf denen sechs Augen sitzen, die nirgendwohin starren. Auf einer Schädelkalotte stehen die Haare eines Irokesenschnitts steil in die Höhe, gleichzeitig könnte es ein Schamhaarbüschel sein.
Ein lammähnliches Tier steht auf zwei Köpfen. Das Lamm trägt ein menschenähnliches Gesicht. In mittelalterlichen Darstellungen des Lamm Gottes steht dieses Tier für die Heilsbotschaft, bei Schwarzinger tanzt es auf den Köpfen herum. Achtlos benützt es Köpfe. um irgendwo zu stehen. Eine intimere Beziehung als benützen und benützt werden ist nicht auszumachen.
Auf der Arbeit „Kreuzgang“ lehnt ein steifer Körper vor dem Kreuz. Als eines der ganz wenigen dargestellten menschlichen Wesen mit Kopf hat dieses ein Ohr. Niemand weiß, wem es zuhören soll. Es fehlen auf dem Bild die Personen, die zu diesem vom Kreuz Abgenommenen sprechen sollten. Und der Kopf, der ohne Körper am Kreuz hängt, hat ein sarkastisches Grinsen für den Betrachter übrig. Der daneben stehende nackte weibliche Torso starrt ebenfalls aus dem Bild heraus, für religiöse Inhalte hat letztlich keine der Figuren etwas übrig.. Die klassische Szene rund um das Kreuz. ist zu einem Gitter der Beziehungslosigkeit geworden.
Die Übergänge zwischen Ernst und Unernst, zwischen Alltagswirklichkeit und durch die Werbung verschönertem Menschsein, zwischen Unverbindlichkeit und Engagement sind bei Franz Schwarzinger fließend. Keine Heilsbotschaft ist ihm ein Anliegen, keine Belehrung, kein Aufrütteln wichtig. Er malt und zeichnet. Einem tobenden Ozean der Bilder, die uns angeblich blöd machen, weil die optische Reizüberflutung gar so stark ist, stellt er seine persönlichen Zeichen entgegen. Und die sind Variationen über den Menschen in seinen Verstellungen und seinem lebensnotwendigen Selbstbetrug.
Dr. Helmuth A. Niederle, Schriftsteller